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Max Winter

Bei den Glasarbeitern des Isergebirges

Teil 1: Die neue Welt (Berlin) Nr. 21, 1901

Der Mittelpunkt dieser Industrie ist Gablonz. Das nordisch rauhe Gablonz, mit seinen Bergen und Hügeln, fast selbst ein Gebirge, beherbergt Tausende fleißiger Menschen. Man braucht nicht lange zu suchen. Jedes Haus bietet ein Bild regen Gewerbefleißes, der oft nicht den Schweiß lohnt. Grelle Kontraste auf Schritt und Tritt! Große Räume in prunkvollen Kaufmannspalästen, vollgepropft mit Waaren, die zur Versendung in alle Weltgegenden bestimmt sind – lauter Waaren, an denen das Blut der Glasarbeiter klebt; in diesen Räumen gut gekleidete, aber schlecht gezahlte kaufmännische Arbeiter, Packer, Kommis, Schreiber, Buchhalter und «Läufer», meist junge Menschen, die von ihren Chefs in’s Gebirge entsendet werden, um dort mit allen Listen und kaufmännischen Finessen die Produzenten «’rumzukriegen»; im Erdgeschoß Gürtlerwerkstätten; im Hinterhaus kleine, theure, überfüllte Wohnungen, in denen die Frauen neben ihrer häuslichen, auch noch eine hausindustrielle Thätigkeit entfalten. Sie kitten Similisteine in Guttaperchakuchen ein. Das ist eine Vorarbeit für den Similiseur, der die Steinchen dann auf der freigebliebenen Seite mit einer Metallschicht überzieht. Durch den Metallbeleg werden aus den wasserhellen Drucksteinen erst die Gürtlerdiamanten. Eine andere Thätigkeit der Frauen ist die «Fasserei». Sie fassen die funkelnden Steinchen für die Gürtler in die Schmuckgegenstände; Andere nähen wieder Knöpfe auf Kartons, und nicht allzu selten sitzt die Frau mit ihrem Manne, oft auch mit ihren Kindern am Werktisch und schafft fleißig mit, um eine Erhöhung der Einkünfte zu erzielen. In allen diesen Wohn- und Arbeitsräumen hat sich das Elend eingemiethet. Es ist ein freudloses, nur der Arbeit gewidmetes Dasein, ohne freundliche Ausblicke in die Zukunft – das diese Menschen in den Hinterhäusern der Millionärstraße dahinleben. Neben ihnen leben warm und wohlig in behaglichen Familienhäusern die Gablonzer Millionäre, die Besitzer der Exporthäuser, die das Verbindungsglied zwischen den Erzeugern der vielen Tausende verschiedener Glasbijouterieartikel und dem Weltmarkte sind, der diese glänzenden, glitzernden, gleißenden Waaren stark begehrt. Es giebt keinen Kontinent, mit dem Gablonz nicht in Verbindung wäre. Wie ein Spinnennetz laufen die Fäden auseinander und ineinander, die die Exporteure von dem Mittelpunkte Gablonz um die ganze Welt gezogen haben. Die Pariser Modedame behängt ihren Leib ebenso mit Waaren der Gablonzer Exporteure, wie die Hottentotten, wie die Australneger, wie die Ureinwohner von Sansibar, wie die Töchter Indiens, und die reichen Amerikanerinnen schätzen die ihrem Geschmack angepaßten Glaskurzwaaren nicht minder, als es die Haremsdamen thun, oder die schlitzäugigen Chinesinnen, oder der Erforscher unbekannter Welttheile, der sich des gleißenden Glasgoldes bedient, um die Freundschaft der Wilden zu erkaufen. Perlen, Arm- und Serviettenringe, Knöpfe und Trauerschmuck, Lustrebehänge, Vasen und Trinkservice, fein geschliffene Flakons, Nippes und Glasposamenterie, Schnallen und Brochen, Stockgriffe und Uhrketten, Hut- und Kravattennadeln, Medaillons und optische Linsen, Gürtel- und Hutbehang – was ist da in den Magazinen der großen Exporthäuser nicht aufgestapelt, in allen Farben, in allen Formen, von der mit freiem Auge kaum Wahrnehmbaren Schmelzperle bis zur meterhohen Vase! Und alle diese tausenderlei Artikel, könnten sie die Geschichte ihrer Herstellung erzählen, was wären das für traurige Geschichten! Wie viel Plage und Sorge, wie viele Kunstfertigkeit und erfinderische Gabe, wie viel Enttäuschung und Entbehrung, wie viel Kämpfe und Mühe, wie viel muthlose Verzweiflung und wie viel Tücke und Niedertracht, wie viel Elend, wie viel des großen Elends der arbeitenden Menschheit haben sie geschaut.

In Gablonz laufen alle Straßen des Gebirges zusammen, alle Straßen, an denen die oft recht armseligen Dörfer liegen, wo die meist hausindustriellen und kleingewerblichen Arbeiter der Glaskurzwaarenindustrie von früh bis spät hinter dem Arbeitstisch, in glühender Hitze beim Druckofen oder beim Schleifstuhl sitzen. Ueber Gablonz müssen auch Viele wandern, wenn sie sich in den Glashütten das Rohmaterial, besser die Halbfabrikate beschaffen wollen. Von Belang für die Industrie sind nur die sieben großen Glashütten der Firma Riedl, die die Glasstangen und Glashohlstengel erzeugt, denen man auf einer Wanderung durch die Arbeitsstätten des Isergebirges auf Schritt und Tritt begegnet, und auch die Pressungen, aus denen Serviettenringe und die prächtigen Gebilde der Flaconindustrie gemacht werden.

Die größte Hütte ist in Polaun. Treten wir in ihr Inneres und sehen wir den Glasmachern bei ihrer Arbeit zu. Gleich beim ersten Ofen der Hütte sehen wir die Rohproduktion der Serviettenringe in ihrer gegenwärtig vollkommensten Form. Es ist ein gewöhnlicher Wechselofen. Im Zentrum des ringförmig angelegten Ofens glüht in den Häfen das über Nacht geschmolzene Glas. In der Mauer, die den Brand umgiebt, sind Oeffnungen, vor denen je ein Glasmacher seinen heißen Arbeitsplatz auf der etwa ellenhohen Arbeitsgallerie hat, die um den Ofen herum angelegt ist. Die Gallerie ist etwa 2 Meter breit. Da oben stehen die braunhäutigen Glasmacher. Ihre Gesichter sind hochgeröthet. Dicke Schweißperlen tropfen zu Boden. Die Glasmacher sind beständig einer Hitze von 40 bis 60 Grad ausgesetzt: 40 Grad am äußersten Rand der Gallerie, wo sie die weichen Glasklumpen mit Scheeren, Zangen, Glätteisen bearbeiten, wo sie die Hohlglassachen durch die Pfeifen aufblasen oder die glühenden, weichen Glasklumpen, die Klautsche, in die Form pressen; 60 Grad und noch mehr, wenn sie vor der Ofenöffnung stehen und die Pfeife, an deren Spitze der Klautsch klebt, im Brande drehen.

Es ist 7 Uhr Morgens. Am Morgen, so lange das Glas noch weich ist, werden nur kleinere Sachen gemacht. Erst mit dem fortschreitenden Tag werden immer größere und größere Stücke aus der glühenden Masse geformt, die in den Häfen unter dem Einfluß einer Hitze bis zu 1000 Grad immer mehr verhärtet. In den kleineren Hütten, den sogenannten Komposithütten, die man ringsum im Land trifft, die für die Produktion aber kaum in Betracht kommen, währt ein «Brand», so heißt der Schmelzprozeß des Glases, 24 bis 28 Stunden. Dann erst wird das geschmolzene Glas in den Häfen langsam abgekühlt und verhärtet. In den großen Glashütten erkalten die Oefen nur dann, wenn an ihnen eine Reparatur nöthig ist. Die Siemens-Oefen der Riedl’schen Hütten werden Abend für Abend frisch gefüllt, das heißt, es werden am Abend immer die mit dem Gemenge von Kieselsäureverbindungen und zumeist Alkali und Kalk als Basen gefüllten Häfen frisch eingestellt und über Nacht geschmolzen.

Am Morgen wird das in den Häfen geschmolzene Glas sofort verarbeitet, während in den Komposithütten das Glas erst verhärten muß, dann ausgebrochen und am offenen Feuer wieder stückweise verarbeitet wird. Der unvollkommene Kleinbetrieb braucht also doppeltes Feuer.

Unser Glasmacher preßt sogenannte «Napl», ringartig eingekerbte Näpfe, die in den Serviettenringschleifereien weiterverarbeitet werden. Aus jedem «Napl» werden vier Ringe gesprengt und geschliffen.

Der Glasmacher steht an der Maueröffnung, durch die dem Beschauer ein Blick in den Bauch des Glasofens gewährt wird. Die Luft da innen ist gluthig, roth, blendend. Das Auge schmerzt, wenn der Blick direkt in das Gluthmeer gerichtet ist, und wir stehen doch 8 Schritte davon entfernt. Der feuerfeste Mensch da oben aber, der hart an der Oeffnung steht, aus der die glühenden Luftwellen herausschlagen, dreht hurtig die Pfeife im «Brand» – Sekunden nur; dann nimmt er die etwa 2 Ellen lange Stange heraus. An der Spitze ist ein kleiner, rothglühender, gerundeter Knauf... glühendes Glas. Er macht 2 Schritte an den Rand der Gallerie und «schmiedet» das Glas auf seiner Arbeitsbank. Er drückt es mit einem Glätteisen, rundet es in einer Holzform, die er vorerst mit Wasser befeuchtete, oder er fährt auch mit seiner nassen Hand über die glühende Masse, er zwickt das Glas mit Zangen und zwackt unreine Theilchen mit einer Scheere ab. Das Wasser verdunstet rasch. Ein fortwährendes Zischen begleitet die flinke Arbeit. Dampfwölkchen steigen auf. Nun rasch nochmals in den Brand und dann in die Form, die der Gehülfe schon geöffnet und geölt hat. Der Glasmacher senkt die Pfeife in die Form. Ein Druck, und das Stück ist fertig. Während er zur nächsten Pfeife langt, die schon vorher mit dem angewärmten Klautsch dem Brand ausgesetzt war, kommt ein Junge, der mit einer langen Stange den «Napl» nimmt und ihn in den «Kühlofen» trägt. Die fertigen Stücke müssen langsam abkühlen. Um dies zu erzielen, werden sie von den Jungen mittelst der langen, an der Spitze mitunter gegabelten Eisenstangen in Häfen geschichtet, die an der Rückwand des Kühlofens derart liegen, daß der offene Rand des Häfens nach außen gekehrt ist. Vor den Häfen lodert ein mächtiges Holzfeuer. Meterlange Scheiter brennen unter großer Rauchentwicklung auf dem offenen Gluthhaufen. Anderswo schlägt der Qualm in die Hütte und erfüllt den geschwärzten Raum mit fast unerträglicher Luft. Hier sorgt eine einfache, wenig kostspielige Vorrichtung dafür, daß die gequälten Arbeiter nicht auch noch dieser Gefährdung ihrer Gesundheit ausgesetzt sind. Ueber den offenen Kamin ist ein großer Trichter gestülpt, der in einen blechernen Rauchzug mündet. Die Blechröhren führen bis zum Hüttendach, dessen First durch einen offenen Luftkanal ersetzt ist. Durch diesen Spalt lugt zuweilen ein Streifen hellen Sonnenlichts in die heiße, schwarze Hütte, in der vom frühen Morgen bis zum späten Abend fleißige Menschen ihr Dasein verbringen: die männlichen Meister – auch einige Graubärte sind darunter – die jünglinghaften Gehülfen und die kaum der Schule entwachsenen Knaben, die «Jungen», die so lange Stück um Stück in den Kühlofen tragen müssen, bis für einen von ihnen ein Gehülfenposten frei wird. Da giebt es kein eigentliches Lernen. Wer das Geschick und die Widerstandsfähigkeit des Körpers hat, um fortwährend in solcher Hitze mit glühenden Glaskörpern zu hantiren, der wird Gehülfe und später wohl auch Meister. Die Wenigsten aber kommen bis zu diesem Ziel. Die Meisten fahren noch in jüngeren Jahren von der heißen Hütte in die kalte Grube...

Wir werfen noch rasch einen Blick in den Kollergang, wo das Material zur Glasschmelze gemahlen und dann unter großer Staubentwicklung in offenen Trögen gemengt wird. Dies ist eine besonders ungesunde Beschäftigung, bei der der Arbeiter noch jeder Schutzvorrichtung entbehrt.

In der Sprengerei, wo die Deckelgebläse von den Glasgefäßen abgesprengt werden, beenden wir unseren Rundgang und wenden uns der unweit daran gelegenen Ziehhütte zu. Diese besteht aus einem quadratischen Hauptraum mit zwei langgestreckten Seitenflügeln, die, wagerecht an dem Hauptraum angebaut, eine 180 Meter lange, geradlinige Bahn, die sogenannte Zugbahn bilden. Eben als wir durch eine Seitenthür in den Gang treten, schießt ein kleiner, dem Aussehen nach kaum 14jähriger Junge in schnellem Lauf an uns vorüber. In der Rechten hält er, mit der Spitze gegen den Boden eine Pfeife, von der ein birnenförmiger Klautsch sich in eine schier unendliche Glaslinie verliert. Im Weiterspringen wird der Klautsch immer kleiner und kleiner, bis endlich fast das ganze glühende Glas bis auf ein kleines Perlchen von der Pfeife gezogen ist. Athemlos langt der Springer am Ende der Bahn an. So heißen nämlich diese armen Jungen, von denen immer 10 bis 15 ausprobirt werden müssen, bis einer kräftig und doch auch behend genug ist, diese Arbeit auszuhalten. Nach einer beiläufigen Berechnung muß so ein Junge täglich 9 Kilometer im Laufschritt und ebenso viel im Eilmarsch zurücklegen. Die Lungen und Beine der Jungen müssen kräftig sein, wenn sie diese Anstrengung aushalten wollen. Der Lohn der Springer beträgt Kr. 10 (M. 8,05) in der Woche – ein hoher Lohn im Vergleich zu den Löhnen, die hausindustrielle und kleingewerbliche Arbeiter im Akkord erschinden können.

Teil 2: Die Neue Welt (Berlin) Nr. 22, 1901

In der Ziehhütte werden die Stangen gemacht, die wir in den drei Stockwerken des Magazins in allen erdenklichen Farben zu Bünden gereiht sehen. In einem Nebenraum der Ziehhütte, im Sortierraum, werden die in ellenlange Stücke geschnittenen Hohlstengel, deren Durchmesser 1/2 Millimeter bis zu einem Centimeter beträgt, sortirt und zu 10 Kilo schweren Bünden vereinigt.

Damit sind wir mit dem Rundgang fertig. Wir haben ein, wenn auch schwaches Bild von der Erzeugung der Halbfabrikate gewonnen, und wir können den Rucksack aufpacken und nun von Dorf zu Dorf wandern, um die Hauptgruppen der Glaskurzwaarenindustrie kennen zu lernen.

Die Besatzsteinindustrie, die Perlenindustrie und die Schleiferei mit ihren Untergruppen: Serviettenringschleiferei, Krystallerie, Flaconschleiferei, und Schwarzglas und Fantasieartikel sind die interessantesten.

Im Süden von Gablonz, schon in den czechischen Gerichtsbezirken Eisenbrod und Semil, sind die «Lampendrücker» zu Hause. Man nennt sie so, weil sie über einer kleinen Oellampe den Glasstengel erwärmen und dann aus dem erwärmten Klautsch kleine schwarze Steinchen, die Besatzsteinchen, drücken. Diese während der Pressung durchlochten Steinchen werden auf Fäden angereiht zu Bünden vereinigt. Sie wandern dann über Gablonz nach Sachsen, wo sie zu einem Modeputz weiter verarbeitet werden. Die Modedamen, die diese Glasposamentrien zum Kleideraufputz verwenden, die bald die Brustverkleidung damit schmücken, bald den Kragen damit besetzen oder den Aermeln damit eine Zierde geben, haben wohl keine Ahnung davon, unter wie unsagbar traurigen Verhältnissen die Lampendrücker ihr Brot – oft fehlt es auch an Diesem – verdienen.

Die Lampendrücker – sammt ihren rastlos mitarbeitenden Frauen und Kindern, wohl 3000 an der Zahl – sind sogenannte «freie» Arbeiter. Das heißt, sie dürfen sich selbst so viel ausschinden als sie wollen – den Unternehmer rührt es nicht. Sie selbst müssen das Rohmaterial und alle Betriebsmittel kaufen, und dann nimmt ihnen der Lieferant, in vereinzelten Fällen wohl auch der Exporteur, direkt ohne Zwischenhand die fertig gestellten Waaren ab. Die «freien» Arbeiter sind bedürfnißlos, durch Elend herabgekommen, völlig widerstandslos.

Eine Andeutung, daß es ein Anderer billiger macht, eine versteckte Drohung genügt, und jeder einzelne Lampenarbeiter wird den Preis drücken lassen, sowie sich auch die Lieferanten im Preise drücken lassen. Heute haben die Preise schon so ziemlich die unterste Grenze erreicht. Bei 15- bis 16stündiger Arbeitszeit sind die besten «Löhne», das ist der Preis, der für die Arbeitskraft gezahlt wird, 60 bis 80 Heller (50 bis 65 Pfennige). Eine gewissenhafte Lohnerhebung ergab als Höchstlohn 80 Heller. Dagegen fand ich auf meiner Wanderung durch diese Elendsdörfer, in denen der Fremde nichts als stinkende Wurst und Branntwein bekommen kann, bei Frauen Stundenlöhne von 2 1/2 Hellern. Die Exporteure drückten von 1894 bis 1898 die Einkaufspreise der Waaren um ein Drittel herab. So zahlten sie 1894 für einen «Bund» (d. s. 1200 Stück einzeln aus weichem Glas gedrückte Steinchen, die auf Fäden aufgezogen sein müssen) noch 31 Heller (25 Pfennige), 1898 nur mehr 11 Heller (9 Pfennige). Da das Rohmaterial – Glas, Oel für die Lampe, über der sie den Glasstengel druckweich machen, Wolle zum Anfädeln – nicht billiger wurde, geht fast der ganze Preisdruck an dem Lohn aus. Die «Lampendrücker» dehnten ihre Arbeitszeit aus. Sie lieferten Schundarbeit und verwendeten namentlich weiches Glas, das es ihnen ermöglichte, in derselben Zeit mehr zu produziren. Dadurch wurde dieser große Industriezweig sehr herabgebracht, der Ring geschlossen: die minderwerthige Waare wollte Niemand kaufen. Ihre Erzeuger kamen immer mehr herab.

Die Hauptnahrungsmittel dieser armen Menschen sind Kartoffeln, die zerrieben und dann erst gekocht werden, Sauersuppe (Sauerteig, in Wasser gelöst) und Brot. Ihre Wohnungen spotten selbst der primitivsten Hygieine.

Dies vorausgeschickt, wollen wir nun die «Lampendrücker» in ihren Dörfern aufsuchen, Dörfer, deren weltabgeschiedenes Elend uns keine Ansichtskarte vermittelt. Schon das Aeußere sagt uns, was unser wartet. Die Dorfstraße von Bredikow starrt im Schmutz des Elends, das wir nun in jeder der Bretterhütten schauen sollen. In der ersten gleich treffen wir eine Wöchnerin, die auf ein Lager von getrocknetem Moos gebettet, in Lumpen gehüllt, ihre schweren Tage verbringt. Im selben Zimmer, das Arbeits-, Wohn-, Koch-, Schlaf-, Wasch- und Gebärraum zugleich ist, zählen wir sechs Erwachsene und fünf Kinder, zwei «Zickl» – junge Ziegen – und einen Hund. «Im Stall können wir die Zickl nicht lassen,» sagt der Hausvater, «sonst saufen sie uns die Milch der Ziege weg.» Das Zimmer hat einen Luftraum von 90 Kubikmetern, so daß jede Person einen Athmungsraum von 8,2 Kubikmetern hat, während in den österreichischen Gefängnissen zum Beispiel auf einen Verhafteten zirka 12 Kubikmeter kommen. Und die österreichischen Gefängnisse sind wegen ihrer hygieinischen Einrichtungen nicht gerade berühmt. Dazu kommt hier noch die Ausdünstung der Ziegen, der Oeldunst, den die vier Lampenarbeiter erzeugen und der Umstand endlich, daß die Fenster geschlossen sein müssen, damit die Stichflamme, in der sie die Glasstengel erweichen, nicht flackert. Das Flackern beeinträchtigt die Hitze und es geht dadurch Oel verloren und die Arbeit geht langsamer fort.

Die Arbeiter sitzen an einem Balkentisch, so genannt, weil zwischen den vier Füßen ein Blasebalg angebracht ist. Von dem Balg geht zu jedem Arbeitsplatz ein spitz auslaufendes Rohr, das in die Flamme des Oellämpchens den Luftschwall des Balgs lenkt und dadurch eine Stichflamme erzeugt. In dieser werden die schwarzen Glasstengel vom Drücker erwärmt und dann das weiche Glas in einer Formzange gepreßt. Stück um Stück der kleinen Glasgegenstände muß gedrückt werden. Hat der Drücker 1200 fertig, dann hat er einen Bund, und hat er 120 Bund fertig, so hat er 10 Kilo Glasstengel verarbeitet. 120 Bund erfordern eine effektive Arbeit von 90 Stunden und der Preis für 120 Bund ist Kr. 14,40. Darauf hat er folgende Auslagen:

 
Für das Glas Kr. 4,---
" " Oel " 2,40
" " Anfädeln der Steinchen zahlt er für das Tausend Dutzend (sonach für 12000 Stück!) 22 Heller, für 12000 Dutzend also " 2,64
Baumwolle und Nadeln kosten im Durchschnitt " 0,40

Er hat somit Kr. 9,44 Auslagen
 

so daß er für 90 Stunden Arbeit Kr. 4,96 (M. 4,13) Lohn hat, oder für die Stunde 5 1/2 Heller. Davon muß er noch seine Betriebsmittel in Stand halten. Der «Gehülfe» verdient ebensoviel, aber er muß der Frau des Balkentischbesitzers Kr. 4 in der Woche für Kost und Quartier zahlen. Der Rest bleibt ihm für Wäsche und Kleider und für sein armseliges Sonntagsvergnügen, den Tanz im Gasthaus eines benachbarten deutschen Dorfes.

Der elende Preis, den die Lampendrücker für ihre eigene Arbeit erzielen, zwingt sie auch, für das Anfädeln der Besatzsteine einen Schundpreis zu zahlen, d. h. sie sind genöthigt, ihre eigenen Kinder zu dieser Arbeit anzuhalten. Da sitzen sie nun, die armen Lampendrückerkinder, zu Hauf in der giftgeschwängerten Stube und stochern mit zehn, zwölf dünnen Nadeln, die sie fächerartig zwischen Daumen und Zeigefinger halten, in den Haufen Druckperlen vor sich, um sie auf die Nadeln und von diesen auf die Fäden zu bekommen, oder sie machen gar die schlimme Scheerenarbeit. Sie müssen größere Besatzsteine von dem brüchigen Rand befreien, indem sie Stück um Stück mit einer Scheere beschneiden. Bei jedem Schnitt steigt ein ganz feines, unsichtbares Staubwölkchen auf, das die armen Kleinen einathmen. So wird der Boden für die Tuberkulose gedüngt, die hier furchtbare Ernte hält. In der Großstadt werden Kinderschutz- und Rettungsgesellschaften gegründet, um einzelne Kinder gegen die Rohheit ihrer Eltern zu schützen, in den Lampendrückerdörfern ist der Massenmord der Kinder durch die Industrie eine allgemeine Erscheinung und die Eltern müssen die Henker machen.

Die Gegend ist arm. Früher einmal waren die Lampendrücker Bauern, Kleinbauern, die dem unwirthlichen, steinigen Boden mit Mühe die Erdäpfel abrangen. Da kam die Industrie und bot ihnen einen Nebenverdienst, zuerst mit dem Sprengen der millimetergroßen, eckig geschliffenen Glasperlen und dann, als die Perlensprengmaschine erfunden wurde, die die Arbeit von 80 Arbeitern leisten konnte, mit dem Drücken der Besatzsteine. Während der Handsprenger Perle um Perle von dem millimeterdicken Glashohlstengel an einer in wagerechter Achse laufenden Eisenscheibe absprengen muß, arbeitet die Perlensprengmaschine mit der unheimlichen Geschwindigkeit einer Massenguillotine. Sie besteht in ihren wesentlichen Theilen aus einem Kamm, durch den die dünnen Glashohlstengel mechanisch geschoben werden, und aus einem Fallmesser über dem Kamm. Dieses saust in der Minute 70- bis 75 mal nieder und köpft ebenso oft die 40 bis 50 Stäbe, die immer wieder nachrücken. Die Maschine sprengt 225 000 in 10 Stunden, der geübte Handsprenger 3400 Perlen im Vierzehnstundentag. Damals, als die Maschine die Bauern brotlos machte, schrieben sie ihr die Schuld zu, und mit Knütteln bewaffnet zogen sie gegen die Maschine zu Felde. Sie zertrümmerten auch einige Maschinen, aber ehe die Betheiligten die insgesammt 36 Jahre schweren Kerkers abgebüßt hatten, ja, ehe sie noch wegen der «Revolution» verurtheilt waren, hatte die Maschine den Handsprenger überflüssig gemacht. Dann warfen sich die Bauern auf die Lampendrückerei.

Ursprünglich sollten sie sich durch das Sprengen das Salz zu den Erdäpfeln verdienen, die sie dem Boden abrangen. Aus dem Nebenverdienst wurde aber bald der Hauptverdienst – die letzte Kuh wurde aus dem Stalle getrieben und die Bauern oder ihre Weiber mußten sich vor den Pflug spannen. Dazu kommt das rauhe Klima. Vom Riesengebirge her weht bis weit in den Mai hinein eisige Luft und im Oktober giebt es schon Schnee. So sind diese armen Menschen von Allem verlassen.

Eine Wirkung dieses Industrieniederganges sind die Brandruinen in jedem Dorfe. Die Leute zünden selbst die Häuser an, um die Versicherungsprämie zu bekommen. In keinem Ort giebt es eine Feuerwehr, aber in jedem eine Vertuschungswehr, die dafür sorgt, daß das Haus ganz niederbrennt, damit die Spur der Brandlegung verwischt wird. Die Versicherungsgesellschaften wissen das und zahlen gewöhnlich nur ein Viertel der Prämie – oft weniger als 150 Kronen.

Doch genug von diesen grausamen Elendsbildern. Wandern wir in das Druckhüttenland zu Füßen der Schwarzbrunner Koppe. Eine Riesenhand hat auf den steilen Hang mächtige Granitblöcke und eine andere Riesenhand hat in das Land die Druckhütten geworfen, in deren rauchgeschwärztem Innern bei einem bezähmten Feuerbrand fleißige Menschen von früh bis spät sitzen und aus zolldicken Glasstangen, die sie im Feuer schmelzweich machen, Glasperlen drücken. Auch für sie galt bis vor Kurzem das Gesetz unbegrenzter Arbeitszeit, namentlich am Freitag vor dem Liefertag bewahrheitete sich der Spruch:

23 Stunden drücken,
Eine Stunde nicken,

aber sie hatten noch so viel eigene Kraft, die Arbeitszeit auf 11 Stunden herabzudrücken und dadurch auch diesen Industriezweig vor dem sicheren Untergang zu retten. Das Innere dieser Hütten ist schrecklich. Rauch und Qualm erfüllt den Raum, in dem kein Rauchtrichter angebracht ist. Durch Fenster und Thüren muß der Rauch seinen Weg in’s Freie suchen. Und über dem Druckofen qualmt es fürchterlich. Die Feuerseite ist offen.

Die Löhne betragen Kr. 8 bis 9 in der Woche. Hat ein Arbeiter Kindersegen, der sich bei solchem Lohn allerdings zum Fluch verkehrt, dann ist sein Speisezettel einfach genug:

Kartoffeln in der Früh’,
Des Mittags in der Brüh’,
Des Abends mitsammt dem Kleid,
Kartoffeln in alle Ewigkeit.

Am wenigsten gekannt ist wohl die Perlenindustrie des Isergebirges, dies darum, weil ihre Erzeugnisse nicht auf den einheimischen Markt kommen. Die frei oder in die Form geblasene Hohlperle, die mit Silber- oder Goldeinzug versehen, auf Schnüren angereiht wird, ist ein Hauptschmuck unserer Brüder und Schwestern in Asien. Namentlich Indien, das klassische Land der Hungersnoth, nimmt diesen Schmuck ab, und Mann und Frau behängen ihren Leib mit diesem gebrechlichen Flitter. Auch die Hohlperle hat ihre Elendsgeschichte. Für einen Bund, das sind 1200 Stück Perlen, wurde zu Anfang der sechziger Jahre, als der praktische Arzt Dr. Weißkopf die Versilberung auf kaltem Wege fand, noch 1 fl. gezahlt, und zu Anfang des Jahres 1898 erzielte dieselbe Perle nur mehr einen Preis von 13 und 14 Kreuzern. Die Industrie drohte zu Grunde zu gehen. Preisdruck und massenhafte Schundwaarenerzeugung hatten es so weit gebracht. Die Existenz von 4000 bis 5000 Menschen schien gefährdet. Da entschloß sich Herr Riedl, ein Kapital von Kr. 200 000 einer zu gründenden Produktivgenossenschaft unverzinslich zu überlassen. Er rettete damit die Industrie und – seinen Absatz an Glashohlstengeln, deren Erzeugung wir in der Ziehhütte kennen gelernt haben.

Teil 3: Die Neue Welt (Berlin) Nr. 23, 1901

Der Perlenbläser bedient sich eines Balkentisches. Er erweicht den Stengel an einer Stichflamme, zieht den glühweichen Klautsch aus und legt ihn in die Form, die er durch einen Tritt auf einen Hebel öffnet und schließt. Im selben Moment dringt durch einen Schlauch, der auf das eine Ende des Stengels gepaßt ist, die gepreßte Luft des Blasbalges in den Stengel und bläst die weichen Glaswände auf. Diese fügen sich in die Form und bilden Hohlräume. Die Form hat 16 bis 20 Perlen nebeneinander. Hat der Bläser den Stengel 4-5 mal in die Form eingelegt, dann bricht er ihn ab und legt ihn bei Seite. Er hat ein «Kläutschl» fertig, wie der technische Ausdruck für eine solche festgelegte Perlenreihe heißt. Die Kläutschln werden dann auf sehr primitive Art mit der Silber- oder Goldlösung – auf kaltem Wege – eingezogen. Wie der Küfer den Heber ansetzt, so zieht der Perlenbläser mit seinem Athem die Lösung in’s Kläutschl. Wer wenig damit zu thun hat, dem schadet diese Arbeit wohl nicht, aber die wenigen Einzieher von Beruf, die im Gebirge anzutreffen sind, werden mit der Zeit an allen der Luft ausgesetzten Hautstellen bläulich-schwarz. Es sind die Mohren des Gebirges.

Die Wirkung der Genossenschaft war schon im ersten Jahre segensreich für die Arbeiter, denn es wurden an die 1100 Genossenschafts-Arbeiter rund 200 000 Kronen mehr an Lohn gezahlt, als sie unter den gleichen Verhältnissen im Vorjahre bekommen hätten. Dennoch sind die Lohnverhältnisse traurig genug, und die Vertrauensmänner der Arbeiterschaft werden auf der Hut sein müssen, daß das von ihnen mitbegründete Institut seinen Hauptzweck, die Perlenbläser zu geordneten Lohnverhältnissen zurückzuführen und ihnen eine menschenwürdige Existenz zu sichern, auch voll erfülle. Die Anregung zur Gründung dieser Genossenschaft ging von dem Arzt Dr. Jean Weißkopf in Morchenstern aus.

Dieser ist der einzige Erzeuger der Pariser Feingoldperle, die ebenso die Damen der Pariser Boulevards, als die Wilden in Afrika fesselt. Ohne dieses Glasgold wäre die Erforschung Afrikas ebenso wie der Elfenbeinhandel und – jedes Ding hat böse Seiten – der Sklavenhandel in Afrika unmöglich. Die Feingoldperle hat einen ungemein großen Formenreichthum.

Von den Perlenbläserdörfern wandern wir zu den Schleifern. Die Schleifer sind ein gar lustiges Völkchen – leicht gelebt und leicht gestorben. Ihr urwüchsiger Humor übt sich gerne grausam an ihrem eigenen Leid. Die Galgenfrist, die ihnen zum Leben bleibt, wollen sie lustig sein: «Da saht har, ich bin a Schleifer, tausend Gild’n gäb’ ich, wenn ich nich so dicke wär’; untersotzt wie a Ra’nwurm, Beene wie a Zeisig.» So zeichnen sie sich selbst mit wahrem Galgenhumor und haben die Lacher für sich. Diese Selbstverhöhnung ihres mageren, früh gealterten Körpers, der mit 25 Jahren gewöhnlich reif ist für «Pfarrers Schleifmühl» – wie im Schleiferlandl der Friedhof heißt – hat freilich auch ihre sehr ernste Seite, und manchem frohen Lacher mag später der tiefere Sinn dieser grausamen Selbstschilderung lebendig geworden sein. Es liegt darin und in so vielen anderen humorvollen Schleifersprücheln soziale Erkenntniß. Der Schleifer weiß genau, wie schlimm es um ihn steht, wie bitter sein Loos ist: Mit dem Todeskeim zur Welt zu kommen, das Leben der Mühseligen und Beladenen kurz zu leben und dann sterben zu müssen, ehe noch ein Strahl echter Freude dieses Dasein beschienen. Die Tuberkulose wüthet furchtbar gerade unter den Schleifern. Zwei Aerzte des «Schleiferlandls», der Stadtarzt von Gablonz, Dr. August Hausdorf, und der Gemeindearzt von Morchenstern, Dr. Rudolf Heller, bringen in ihrer Broschüre: «Ursachen, Wesen und Verhütung der Tuberkulose als Volkskrankheit» ziffernmäßige Belege dafür, wie sehr gefährlich die Glasindustrie und insbesondere die Glasschleiferei für die Lungen ist. Während im Durchschnitt in Böhmen im Jahre 1897 von je 10 000 Einwohnern 44 an Schwindsucht starben, fielen, im gleichen Verhältniß berechnet, in Gablonz 64, in Polaun (Glasschleiferei und Glashütten) 80,8, in Morchenstern (Schleiferei Kleinbetrieb) 83 und in Dessendorf, dem Hauptorte der Glasschleiferei des Isergebirges, gar 145 Menschen unter 10 000 der furchtbaren Krankheit zum Opfer, d. i. dreimal so viel als der Durchschnitt und 8 1/2mal so viel als in dem Böhmerwaldbezirk Schüttenhofen, wo sich nur 17,1 Fälle ereigneten. Deutlicher als durch diese Ziffern kann die furchtbare Gefahr, die den Schleifern droht, nicht illustrirt werden. Aber auch Dessendorf liegt inmitten einer prächtigen Natur, in gesunder Lage und die Menschen müßten gesund sein, wenn nicht der Glas-, Stein- und Eisenfeilstaub der Schleifereien ihre Lungen vergiften würde.

Die Schleifer empfinden diese Gefahr vollkommen und sie charakterisiren sie in ihrer Art wieder mit einem grausamen Witzwort. Sie erzählen sich: «Du, o die Schleifer han a Methusalem, der Susenfranz ist erscht mit 30 Juhr’n gestorb’n.»

Auch furchtbare Kämpfe um Verbesserung ihrer sozialen Lage haben die Schleifer schon hinter sich. Die Ventilationen in ihren staubgeschwängerten Betrieben, sie gingen dem räuberischen Lohnsystem von: «Oertlpacht» und «Dreherlohn», einem doppelten Pachtsystem, durch das die Lohnrechnung dem Schleifer völlig unklar werden soll, zu Leibe, sie wußten der Kinderarbeit wirksam zu begegnen und ebenso dem kindermordenden Unfug, die Schleifereien zur Kinderstube zu machen. Viele Eltern im Gebirge waren dadurch, daß der Vater allein nicht genug verdiente, gezwungen, die Kinder in die Schleifstube mitzunehmen, damit auch die Mutter sich ihre Finger wund schleifen könne. Dann erst hatte die Familie zu leben. Wie in der Besatzsteinchen-Industrie und in der Perlenbläserei die Gablonzer Exporteure durch selbstmöderische Konkurrenz den Artikel völlig ruinirten, so machten sie auch nicht vor den Erzeugnissen, die aus den Schleifmühlen hervorgehen, Halt, und der ganze Fluch des oft wahnsinnig gesteigerten Elends dieser Arbeiter lastet auf ihnen. Durch Heranziehung ungeschulter Arbeitskräfte, durch überlange Arbeitszeit, durch Massenproduktion und durch Einführung eines sogenannten «technischen Fortschritts», der Feuer- anstatt der Holzpolitur, die seither wieder zu Ehren gekommen ist, gelang es ihnen Ende der achtziger Jahre, den Markt mit minderwerthiger Waare zu überschwemmen, einen früher blühenden Erwerbszweig ganz herunter zu bringen. Sie selbst hatten freilich viele Tausende dabei verdient. «Für das Gebirge» – so sagt man in den Schleiferdörfern immer, wenn man die Arbeiter des Gebirges meint – zeitigte diese mörderische Produktion bald schlimme Folgen. 1889 wurden von Aerzten Fälle von Hungertyphus konstatirt, trotzdem – vielmehr weil – damals in den Werkstätten und selbst in Fabrikbetrieben 15 bis 16 Stunden gearbeitet wurde. In diesen Tagen veröffentlichte der seither zum Volksdichter herangewachsene Glasschleifer Franz Grundmann im sozialdemokratischen «Freigeist» (Reichenberg) einen Artikel, in dem er die Lage der Schleifer lebenswahr schilderte. Dieser Artikel gab mit den Anstoß zu einer mächtigen Bewegung. Die schläfrigen Behörden wachten auf. Sie bestraften nicht nur mehr die hungrigen Schleifer wegen Diebstahls, wenn sie einen Hund auf der Gasse abfingen, um ihn daheim zu schlachten und zu essen, sie wurden plötzlich sozialpolitisch, setzten in einer Enquete Minimallöhne fest und beruhigten so die Arbeiterschaft, die in Streik getreten war. Aber schon wenige Wochen später hatten die Unternehmer die Löhne wieder durchbrochen. Es kam zu zeitweiligen wilden Arbeitseinstellungen. Ein Schleifersprüch’l lautet:

Wenn de Schleifer wölde war’n,
Woll’n se All’s zerreißen,
Wenn se wieder zohme sein,
Lassen se of sich .......

Der erste Theil des Spruchs bewahrheitete sich nun. Die Schleifer waren wild und sie machten es so wie der brotlose Haufe der Perlensprenger, der vom Tschechischen herübergezogen war und eben seine Hauptschlacht geschlagen hatte. Bei der Firma Breit & Wiesenthal wurden die Sprengmaschinen zerstört und das fertige Produkt auf die Straße geschüttet. Dies riß die Schleifer mit fort. Eines Tages, im Januar 1890, standen auch sie wieder auf der Straße. Sie rotteten sich zusammen und zogen von Ort zu Ort, überall Arbeitseinstellung erzwingend. Die Bewegung ging von Dessendorf aus. Männer und Weiber, Schwächliche und Kranke, Alles war in Bewegung. Sie stiegen auf den Dessendorfer Berg, bewaffneten sich bei einem Holzschlag mit Prügeln und nun – wollten sie die Welt ändern. Alles zusammenschlagen! war ihre Losung. Thatsächlich wurden auch die Schleifereien durchstöbert, und wo man fertige Waare fand, da wurde sie zerschlagen und vernichtet. Dadurch glaubten sie sich dem Elend zu entreißen. Dieses blieb zunächst, ja es wurde noch vergrößert, denn manch’ ein Ernährer seiner Familie war von den Gendarmen festgenommen und dann abgeurtheilt worden.

Die Behörden gingen aber den Profithyänen nun doch etwas zu Leibe, freilich wieder österreichisch-kraftlos. Die Schleifer hatten aber aus ihren unglücklichen Kämpfen gelernt, daß nur eine festgefügte Organisation die übermüthige Macht des Unternehmerthums brechen kann. In schweren Kämpfen schufen sie sich eine solche, und in dem von Robert Rüfler gegründeten «Glasarbeiter» hatten sie eine mächtige Waffe. Heute sind wenigstens in den Hauptgruppen halbwegs geordnete Verhältnisse.

Es giebt vier Schleifergruppen: Die Krystallerieschleifer; sie schleifen vornehmlich die Lüsterartikel; die Flaconschleifer, die uns die prächtigen geschliffenen Vasen, Flacons, Schalen, Salzstreuer, Zuckerdosen und was sonst an Krystallwaaren in reichen Häusern zu finden ist, liefern; die Schwarzglas- und Phantasieschleifer, die sich namentlich an tausenderlei Knöpfen die Finger wund schleifen, und endlich die Serviettenringschleifer, die die Servietten- – besser Armringe – für die eitlen Töchter Indiens schleifen.

Es würde zu weit führen, hier in’s Detail zu gehen. Wo ein Fluß oder Bachlauf ist, sind die Schleifer zu Hause. Nur in eine Dessendorfer Schleiferei wollen wir einen Blick werfen, um uns einen größeren Schleifereibetrieb zu vergegenwärtigen. Wir sind bei Scheibenarbeitern, die drei Gruppen bilden: Schärfer, Schneider und Polirer. Der Schärfer behandelt das gepreßte Stück auf einer Eisenscheibe, mit deren Hülfe er den brüchigen Rand entfernt, der Schneider macht auf einer Steinscheibe die Ecken und Flächen glatt und der Polirer glänzt auf einer Scheibe von Pappelholz mit Trippel die matten Flächen, damit sie das strahlende Feuer bekommen, das namentlich die Lüsterartikel auszeichnet.

Außer in zahlreichen Orten des Isergebirges sind auch im Aupathal, zu Füßen der Schneekoppe, Schleifereien. Die Löhne betragen hier, wie «im Gebirge», in der Regel Kr. 10 bis 12 in der Woche, nur Künstler, die mit Virtuosität in die glatten Flächen von Prunkgefäßen Blumenornamente schleifen, können auch hier auf einen Wochenlohn von Kr. 20 (M. 16,70) kommen. Auch die Schleifer des Aupathals können das Schaurig-lustige Schleiferlied des Schleiferdichters Grundmann singen, das längst Gemeingut aller Schleifer geworden ist:

Oh mir Schleifer, jo mir Schleifer
Laben herrlich of d’r Walt,
Hon kän’ Kommer, käne Sorgen,
Doch dö Toschen vuller Gald!
(: Juchheidiei, Juchheida,
Juchheidiei, Juchheida,
Juchheidia, Juchheidiada. :)

Exporteure, Lieferanten,
’s is a Jommer, wie die kloh’n!
Oens d’rgegen wachsen Bäuche,
Die m’r bal nä mieh d’rtroh;n!
(: Juchheidiei usw. :)

Wenn m’r täglich vierzehn Stunden
Spaßeshalber schleifen thun,
Krieg’ m’r wöchentlich drei Gölden;
Is dos nä a schienes Luhn?
(:Juchheidiei usw.:)

Könn’ m’r do nä bummeln, brächen,
Könn’ m’rsch do nä nobel gah’n?
Jo, do könn’ m’r wirklich «prassen»,
Jo, do müss’ m’r döcke war’n!
(: Juchheidiei usw. :)

Stirbt m’r dann mit dreißig Juhren,
Soh’n dö Loite: Lieber Gout,
’s wor a Schleifer, dar sich endlich
Mausetudt gesoffen hout!
(: Juchheidiei usw. :)

Oh mir Schleifer, jo mir Schleifer
Laben herrlich of d’r Walt,
Hon kän’ Kommer, käne Sorgen,
Doch dö Toschen vuller Gald!
(: Juchheidiei usw. :)

Zum Schluß wollen wir noch bei den Malern Einkehr halten. Das Volk singt von ihnen:

Die Moler sind gar große Herr’n,
Von jedem Knoppe hängt a Zwern,
Die Schleifer gieh’n zerrissen
Sogar mit barb’se Fießen.

Dieser «Knöttelvers» aus der guten Zeit hat sich heute auch schon überlebt. Auch die Maler gehen schon zerrissen und gar Mancher hat nicht mehr alle Knöpfe an seinem Rock. Dies gilt namentlich von den handwerksmäßigen Malern, die die Massenartikel – Knöpfe, Perlenstifte, Serviettenringe – zumeist recht grell bemalen. 10 bis 15 Kr. Wochenverdienst ist die Regel. Wer damit 4, 5 Kindermagen füllen will, dem bleibt kein Geld für einen guten Rock. Eine zweite Gruppe von Malern steht im Dienste der Graf Harrach’schen Hütte in Harrachdorf. Sie bemalen Vasen, Obstschalen, Aufsätze, Lampen, Krüge, Service, Kannen, Becher, Prunkgläser und vieles Andere. Sie sind Künstler. Viele von ihnen haben einige Jahre Kunstgewerbeschule hinter sich; die Meisten sind bestrebt auf der Höhe der Zeit zu bleiben und sind allen Anregungen zugänglich. Sie sind den besten Produktivkräften österreichischen Kunstgewerbes zuzuzählen. Wir Großstädter bewundern ihre Werke in den Schaufenstern der großen Glaswaarenhandlungen, ohne zu wissen, wie schwer es so einem armen Teufel wird, sich die theuren Vorlagenwerke anzuschaffen, aus denen er die Kraft schöpft, modern zu bleiben. Wir ahnen nicht, daß auch diese Künstler Proletarier sind, die um 20 bis 30 Kr. in der Woche schuften müssen, um das liebe Brot zu verdienen, während ihre Prunkwerke bestimmt sind, den reichbesetzten Tisch der Genießenden zu schmücken.

 

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