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Max Winter

Die Eröffnung des Berndorfer Arbeitertheaters

Arbeiter-Zeitung Nr. 268 vom 29. 9. 1899

Mittwoch wurde in dem waldumkränzten Markte Berndorf das erste Arbeitertheater Oesterreichs eröffnet. Hiezu bereitete der Nickelkönig Arthur Krupp seinen Gästen ein Fest voll prunkvoller Machtentfaltung, ein Fest, wie es nur der Industriefürst geben kann. Es war eine lebendige Illustration der Macht des Geldsacks, die lebendigste vielleicht, die je von dem aufmerksamen Beobachter geschaut werden konnte. Wer oberflächlich hinsah, dem mochte wohl der Berndorfer Festtag wie ein Märchen aus einer besseren Welt, vielleicht aus der besten, die sich kurzsichtige Menschen erträumen, vorüberziehen. Der Tag mochte ihm erscheinen wie ein Märchen der echten Menschenliebe, des sozialen Friedens und der Harmonie zwischen der ausgebeuteten menschlichen Arbeitskraft und dem ausbeutenden Kapital. Wer aber genauer hinsah, wer den dichten Schleier, der jedem darum gelegt wurde, von seinem Auge wegzog, wem das Hurrahschreien, Pöllerschießen, die Trommelwirbel und das Tam-Tam und Bum-Bum der Musik nicht die Feinheit des Gehörs raubte, der konnte sehen und hören, daß es falscher Friedenslärm, daß es kommandirte Harmonie war, was sich da vor seinem Auge abspielte. Und die Menschenliebe? Entsprang sie dem Bedürfniß, den Patriotismus zu bethätigen, oder war Herr Krupp von der edleren Regung geleitet, einen Theil des Mehrwerthes der Arbeit, den er von seinen dreitausend Arbeitern und Arbeiterinnen Tag für Tag, jahraus, jahrein kraft der Macht seines Geldes einheimst, seinen Arbeitern wieder zurückzuerstatten? Wir wissen es nicht. Aber die wahre, echte, heilige Menschenliebe war es nicht, die das Theater und alle sonstigen Wohlfahrtseinrichtungen Berndorfs schuf.

Herr Krupp setzt sich nicht über die ökonomischen Gesetze unserer Zeit hinweg. Sein immenser Reichthum ist das beste Zeugniß dafür. Nicht durch seine Arbeit hat der junge Fabriksherr Krupp die Millionen erworben, die er heute sein eigen nennt, die es ihm ermöglichen, als «Vater seiner Arbeiter» nicht nur «für ihr leibliches Wohl zu sorgen», sondern ihnen auch geistige und ästhetische Genüsse zugänglich zu machen, die es ihm möglich machen, ein Fest zu bereiten, das 240.000 fl. kostete, wie erzählt wurde; nicht durch seine Arbeit gewann er die Mittel, um die Arbeiterhäuser, den Lesesaal, das Speisehaus, die Schule zu bauen, um die Veteranen der Arbeit zu versorgen – alle diese Wohlthaten kann Herr Arthur Krupp nur üben dank der Arbeit der sechstausend Hände, die rastlos für ihn schaffen, und denen er, folgend den wirthschaftlichen Gesetzen des kapitalistischen Zeitalters, nicht den vollen Werth ihrer Arbeit, sondern denen er nur den jeweiligen Marktpreis der Waare Arbeitskraft zahlt, während er den Mehrwerth der geleisteten Arbeit als Profit für sich in Anspruch nimmt. Von diesem Profit, der zu Millionen wächst, gibt er einen Theil, einen winzig kleinen Theil seinen Arbeitern wieder zurück, läßt sich dafür als Wohlthäter preisen und fordert als Gegengabe unbedingte Unterwerfung unter seinen väterlichen Willen, Unterdrückung des eigenen Ich mit seinen vielgestaltigen Interessen in jedem einzelnen Arbeiter und volle Anerkennung, daß er so für die Arbeiter sorge, daß keinem etwas zu wünschen übrigbleibt.

Wer die Lobreden der befrackten Herren bei dem Berndorfer Fest gehört, wer die überschwänglichen Hymnen, die ihm die bürgerliche Journalistik gesungen, gelesen hat, der muß beinahe zu dem Glauben kommen, daß alle diese Unwissenden und Schmeichler kein anderer Wunsch mehr beseelt, als auch Arbeiter in der Berndorfer Metallwaarenfabrik zu werden.

Acht Tage lang nur sollten es diese Herren versuchen, Berndorfer Arbeiter zu sein, und sie würden geheilt sein von dem Glauben an eine Menschenliebe, die zuerst nimmt, weil alle nehmen und dann schon glaubt, echt zu sein, wenn sie einen Theil des Genommenen als Wohlthat zurückerstattet und dafür dem Mann nimmt, was ihn zum freien Manne macht ... sein Selbstbestimmungsrecht. Nur nach Einer Richtung haben die Berndorfer Arbeiter volles Selbsbestimmungsrecht – sie können gehen, wenn sie wollen. Machen sie aber sonst ihr Selbstbestimmungsrecht geltend, wollen sie durch eigene Kraft sich eine höhere Stufe der Lebenshaltung erringen, dann müssen sie gehen. Das süße Gefühl, sich selbst etwas zu schaffen, nicht alles als Wohlthat empfangen zu müssen, kennen die Arbeiter Berndorfs nicht, sie wagen nicht einmal eine eigene Regung, so sehr es sie danach auch drängt. Zum größten Theil Sozialdemokraten, also Menschen, die etwas auf Menschenwürde halten, ließen sie sich nach Schluß der Festvorstellung dennoch wie ein Haufe willenloser Schafe über die Bühne treiben, und als der Schreiber dieser Zeilen in der Zwischenpause zwischen Theater und Festmahl einige Arbeiterwohnungen besichtigen wollte, wagten es diese Kinder des Vaters Krupp nicht, ihn in ihre Jammerhöhlen zu führen, die jeder Wohlfahrt Hohn sprechen. Nicht alle Arbeiterwohnungen sind nämlich auf Kosten Krupp's so schön hergerichtet worden wie die des christlich-sozialen Vertrauensmannes Heger, in die der Kaiser, der die Eröffnung des Theaters vornahm, nach dem Willen eines Loses, wie die Schmeichler verbreiten, geführt wurde.

Das süße Gefühl, sich selbst etwas zu schaffen, selbst für sich zu sorgen, duldet der Fabriksherr Krupp in seiner Menschenliebe nicht. «Stets war es mein ehrliches Streben und mein Stolz, ein Freund meiner Arbeiter zu sein, und ich fühle mich glücklich, hier eine Anzahl von Wohlfahrtseinrichtungen schaffen zu können, durch die der treibende Gedanke der modernen Zeit, die Menschenliebe, nach Maßgabe unserer Kräfte zur That werden sollte.» So schreibt Herr Krupp «an seine Arbeiter» in einem Manifest, das auf dem künstlerisch ausgestatteten Theaterprogramm zur ersten Vorstellung zu lesen ist. Es ist sein Stolz, ein Freund seiner Arbeiter zu sein, und dennoch vergißt er, daß auch die Arbeiter Menschen mit Empfindung sind, und daß auch sie stolz wären, wenn sie ihre eigenen Freunde sein könnten. Wäre das Theater auch weniger prunkvoll, hätte es auch nur den zehnten Theil der Summe gekostet, die das Krupp'sche kostete, wäre es aber von dem Gelde der Arbeiter, das diese Schärflein um Schärflein zusammengelegt hätten, gebaut worden, dann würde die Arbeiter Berndorfs an dem Festtage der Eröffnung ein ganz anderes Gefühl durchschauert haben, das Gefühl ihrer geeinten Macht, und nicht das Gefühl verzuckerter Knechtschaft, das alle Denkenden gestern beherrschten mußte, und wie Sturmfluth wäre die Begeisterung aufgelodert, die gestern dem Arbeiterregiment nur darum so gut gelang, weil ihr am Montag eine Generalprobe vorangegangen war. Nicht nur der mit Hilfe von 120 Arbeitern unter Leitung von Künstlern herrlich dekorirte Ort war ein Potemkin'sches Dorf. Die Sauberkeit der Fabriksräume, durch die der Kaiser geführt wurde, die neumöblirte Arbeiterwohnung, die schmucke Kleidung der Arbeiter und Arbeiterinnen und endlich der «Huldigungszug» am Schluß der Festvorstellung ... alles das war unecht, falsch, gemacht, für den Zweck hergerichtet und dennoch wollen die Geldsackoffiziösen der Welt glauben machen, daß alles dies echt gewesen sei. Echt wäre die Begeisterung gewesen, wenn es nicht nur ein Theater für die Arbeiter, sondern auch ein durch die Arbeiter geschaffenes Theater gewesen wäre, wenn die Arbeiter nicht eine neue Wohlthat zu danken hätten, sondern wenn sie auf ihr eigenes, durch ihre Kraft entstandenes Werk stolz sein könnten.

Die Berndorfer Festlichkeiten begannen in der dritten Nachmittagsstunde mit der Ankunft des Kaisers, der in der Zeit von 2 Uhr 20 Minuten bis 3 Uhr 25 Minuten folgendes Programm zu absolviren hatte: Empfang, Fahrt zur Fabrik, Besichtigung der Gießerei, der Schmiede, der Patronenfabrik und der Besteckfabrik; Fahrt zur Sanitätsstation, Besichtigung dieser und der Versilberung; Fahrt nach Margarethen, einer Kolonie, in der die Arbeiter ihre eigenen Häuser bewohnen, Besichtigung eines Arbeiterhauses, Fahrt zum Bade, während der Fahrt Besichtigung der Knabenfeuerwehr, Aufenthalt im Bade, Besichtigung der Haushaltungsschule, Fahrt zur Lesehalle, Aufenthalt in der Lesehalle, Fahrt zum Theater. Mit dem Kaiser waren noch die Minister, der sehr gut aufgelegte Graf Thun an der Spitze, von Wien gekommen. Ein Sonderzug brachte die übrigen Wiener Gäste: Industrielle, Schriftsteller, die halbe Statthalterei mit der Gräfin Kielmannsegg, Künstler, Offiziere und – Journalisten. Schon die Ausstattung des Sonderzuges ließ das Kommende erwarten. Der von Krupp beigestellte Zug bestand durchwegs aus Salonwagen erster Klasse, und in jedem Waggon fuhr ein Kellner mit, der den Gästen Kaffee und Liqueur servirte. Bei der Ankunft des Zuges in dem wie erwähnt geschmackvoll und ungemein reich dekorirten Ort war die offizielle Besichtigungstour bereits in vollem Gange.

Die Journalisten konnten also den interessantesten Theil, Besichtigung der Fabrik und der Wohlfahrtseinrichtungen nicht mitmachen. Dennoch erfuhr zum Beispiel der vom «Neuen Wiener Tagblatt» delegirte Berichterstatter über den Besuch der Arbeiterwohnung Folgendes:

«Von der Fabrik fuhr der Kaiser nach dem Ortstheil Margarethen zur Besichtigung der dortigen Arbeiterhäuser oder sonstigen Wohlfahrtseinrichtungen. Hier spielte sich eine interessante Episode ab. Der Kaiser wünschte in eines der Arbeiterhäuser einzutreten. Rasch wurde eines durch das Los bestimmt, und zwar das des Fabriksarbeiters Heger, und Erzherzog Rainer und Herr Krupp folgten dem Monarchen in die schlichte Arbeiterheimstätte. Der Arbeiter, der gerade in seinem Wohnzimmer sich befand, erhob sich und bekundete tiefe Ergriffenheit, als er den Monarchen in sein bescheidenes Heim eintreten sah.»

In unseren Händen befindet sich ein vom 15. d. datirter Brief eines Berndorfer Arbeiters, in dem es unter anderem heißt: «Auch die Arbeitermusterwohnung, in die der Kaiser geführt werden wird, ist eher alles Andere als eine Arbeiterwohnung. Der Vertrauensmann Krupp's, der christlich-soziale Heger, soll mit seiner Wohnung eine solche zur Anschauung bringen. Diese Wohnung ist der Neid aller jener, die auch haben möchten, daß ihre Wohnung zu diesem Zweck so hergerichtet werden möge. Es ist nicht zu zweifeln, daß der Kaiser bei Besichtigung dieser Arbeitermusterwohnung einen wirklich schönen und angenehmen Eindruck gewinnen wird, wenn sich aber der Kaiser nebenan oder vis-à-vis in die Wohnung, das heißt in die richtige Arbeiterwohnung eines gewissen F. begeben sollte, würde ihm ob dem Betrug des Augenverklebens eine andere Meinung von den Krupp'schen idyllischen Zuständen aufsteigen.» In dieser Wohnung, erzählt der Briefschreiber weiter, herrscht Jammer, Elend und Schmutz – acht Kinder, kein Bett! «Und,» fügt der mitfühlende Proletarier hinzu, «vielleicht kommt F. durch diese Zeilen in halbwegs menschliche Zustände.»

Die Gedrängtheit des Programms und die Ortsunkenntniß erlaubten mir nicht, diese Wohnung zu besuchen, aber ich ging nach dem Theater, wie schon erwähnt, auf die Suche nach Arbeiterwohnungen. Ich machte dabei sonderbare Erfahrungen. Alle Arbeiter, die ich darum ansprach, mir eine Wohnung zu zeigen, wo mehr Kinder wohnen, machten Ausflüchte und ließen mich stehen, bis endlich ein in einem Nachbarorte wohnender Genosse, der nicht bei Krupp in Arbeit steht, mein Begehren verstand und mich zur «Mühle» führte. Wieder sprach ich dort einen Arbeiter an, er möge mich in seine Wohnung führen. Ohne den Zweck meines Kommens zu kennen, wies er mich aus Furcht vor den Nachbarn ab. Ein anderer, der sich mir später als Genosse zu erkennen gab, wagte es nicht, auf offener Straße mit mir zu sprechen, als ich ihm den Zweck meiner Fragen offen sagte, und zog mich auf einen unbeleuchteten Weg. Schließlich stieg ich auf gut Glück in die «Mühle», einem Gebäudekomplex, über holprige Stufen zu den Dachwohnungen der Arbeiter hinauf, und hier fand ich in einfenstrigen Zimmern, die zugleich als Küche dienen, bis zu acht Bewohner. Der Luftraum eines solchen Zimmers betrug oberflächlich gemessen 80 Kubikmeter. Als ich hier vier bis fünf Wohnungen gesehen hatte, wußte ich, daß der Berndorfer Arbeiter, der uns den zitirten Brief geschrieben, die Wahrheit gesagt hatte.

Und nun diese Berichterstattung der bürgerlichen Presse: Das Los hat es bestimmt, der Arbeiter bekundete tiefe Ergriffenheit ... Ist da nicht zum Zwecke der Schönmacherei eine Komödie gespielt worden? Die Inszenirung erfolgte auf Kosten Krupp's. So oft man es hören wollte, konnte man es hören, daß Krupp die Wohnung des Arbeiters Heger auf seine Kosten herrichten und möbliren hat lassen. Ob diese allgemein erzählten Gerüchte auf Wahrheit beruhen, konnten wir nicht mit Sicherheit feststellen.

Das Theater liegt an der Hauptstraße des Ortes, hingebaut in einem prächtigen Park mit alten Bäumen. Gegenüber dem Theater auf der Hauptstraße waren auf drei Tribünen die Begriffe Arbeit, Bildung und Friede zu naturalistischer Darstellung gebracht. Die Arbeit wurde von Arbeitern und Arbeiterinnen der Firma Krupp dargestellt. Als die Festgäste vorüberzogen, hämmerten und feilten, lötheten und polierten die Arbeiter und Jungen in ihren schmucken neuen Fabriksanzügen und die Mädchen in ihren kleidsamen, beinahe koketten Kleidern, daß es fast aussah, als gäbe es ernste Arbeit. Die Bildung wurde von der gesammten Schuljugend verkörpert, die eine Hymne sang und der Friede war durch ein ländliches Bild glücklich ausgedrückt: ein hochbeladener Erntewagen, darauf jubelnde Kinder in niederösterreichisch-steirischer Nationaltracht, Knechte und Mägde vor und neben dem Wagen. Dann ein Pechler, der auf eine Föhre kletterte und die Pechschnitte in die Rinde machte.

Das Theater, das von den Wiener Architekten Helmer und Fellner entworfen wurde, ist ein deutscher Renaissancebau mit Erkern und Pfeilern, Giebeldach und Loggien. Die Wandgemälde an der Facade, vom Wiener Maler Viktor Hausmann lassen den Bau schon von außen als wahres Schmuckkästchen erscheinen. Oberhalb des Bühnenthores sehen wir heitere Szenen aus der Komödie «Das Heyß Eyßen» von Hans Sachs, rechts altdeutsch kostümirte Musikanten, links die Tänzer, die sich in fröhlichem Reigen drehen. Das Porträtmedaillon des Kaisers, das die Ausschmückung bekrönt, ist von dem offiziellen Titel des Theaters: «Kaiser Franz Josefs-Theater», umschlungen.

Im Innern des Theaters ist der Barockstyl konsequent angewendet. Der geräumige Theatersaal ist 15 Meter breit und 10 Meter hoch, ist ganz in Gold, Weiß und Roth gehalten. Logen befinden sich nur im Proszenium des Parterres und des ersten Ranges; im übrigen gibt es nur Sitze und zwar 226 im Parterre und 290 auf der Galerie.

Die Ausschmückung des Zuschauerraumes macht das Theaterchen vollends zu einem Schmuckkästchen. Die Galeriebrüstung ist mit einer Reihe von Schauspielerporträts in Kostümen geschmückt; so sehen wir hier Nestroy als Sansquartier, die Gallmeyer als Näherin, Girardi als Valentin, Josefine Wessely als Jungfrau von Orleans, Charlotte Wolter als Sappho, Ferdinand Raimund als Aschenmann, Baumeister als Falstaff, Toni Link als Madame Angot, Marie Geistinger als schöne Helena, Friedrich Mitterwurzer als Tabarin und Martinelli als Meineidbauer. Das Relief am Proszeniumsbogen bringt die allegorischen Gestalten der Wahrheit, Schönheit und Kunst zur Darstellung.

Die Beleuchtung des höchst behaglich anmuthenden Saales erfolgt durch einen in der Mitte des Plafonds angebrachten Luster und durch elektrische Kerzen, die an der Galeriebrüstung befestigt sind. Natürlich ist dieses Theater mit allen Hilfsmitteln moderner Technik ausgestattet, wie mit allen Einrichtungen versehen, die die Theaterpolizei fordert. Die Stiegen und Korridore recht breit, überall Hydranten. Das Orchester für 24 Mann ist tief gelegt; eine eiserne Courtine schließt die Bühne vom Parterre ab. Die Bühne ist tief und geräumig. Der Schnürboden hat drei Galerien.

In dem Theater wird von dem Ensemble des Badener Stadttheaters (Direktor Schreiber) dreimal in der Woche gespielt werden. Direktor Schreiber zahlt nur einen Anerkennungszins von einem Dukaten jährlich. Dementsprechend werden die Eintrittspreise billige sein: ein Parterresitz 20 kr., ein Galeriesitz 10 kr., so daß es den Arbeitern wirklich möglich sein wird, das Theater auch zu besuchen. Ob der Zweck Krupp's, «das Handwerk durch Kunst zu läutern und den Geschmack und die Phantasie der Arbeiter durch den Anblick architektonischer und dichterischer Formschönheit zu heben», gelingen wird, wird die Folge lehren. Besuchen nur die Arbeiter das Theater, dann kommt jeder zweimal monatlich hinein. Da aber auch die Familien der Arbeiter und Beamten und die sonstigen Ortsbewohner das Theater werden besuchen wollen, wird auf jeden Arbeiter durchschnittlich ein Theaterbesuch im Monat kommen.

Gespielt wurde von den Künstlern des Deutschen Volkstheaters in vortrefflicher Weise Karlweis' Wiener Schwank «Der kleine Mann», dessen zahlreiche politische Pointen von dem so eigenartig zusammengesetzten Theaterpublikum viel belacht wurden. So konnte man in der Parterreloge rechts zwei abgethane österreichische Ministerpräsidenten, den Grafen Thun und den Fürsten Windischgrätz, während der ganzen Zeit in heiterster Stimmung sehen. Als der Wahlmacher Walzl (Girardi) zu dem Bezirksausschußkandidaten Rohrbeck (Martinelli) unterrichtend sagte: «In der Politik sagt man immer nur vielleicht», lachten die beiden Herren sich verständnißinnig zu.

Vor der Aufführung sprach Girardi in der Maske eines Berndorfer Arbeiters einen gemüthlichen Prolog in leichtem Wiener Dialekt, worin die Bedeutung des Wortes Volksstück auseinandergesetzt wurde. Das Beste, was die besten Dichter geschrieben haben, was ihnen vom Herzen kam und zum Herzen geht, das sind Volksstücke. Nach Schluß der Vorstellung kam der «Huldigungszug» der Arbeiter, die unter dem Kommando ihrer Werkführer im Laufschritt, Hoch! Und Hurrah! Schreiend, über die Bühne getriben wurden. Jede Gruppe legte einen Kranz auf die Bühne. Vielen mag es wohl eine «Hetz» gewesen sein, einige verriethen durch ihren strammen Schritt, daß es ihnen eine Ehre war, als Statisten verwendet zu werden – andere aber verriethen durch ihre ganze Haltung, daß sie nur widerstrebend mitthaten. Dank der montägigen Probe ging der Huldigungszug ohne Störung vorüber.

Nach der Vorstellung marschierten die Arbeiter auf die Hauptstraße, wo sie gemeinsam mit Feuerwehr und Veteranen Spalier bildeten. Jeder Arbeiter bekam einen Lampion. Der Kaiser fuhr noch in das Krupp'sche Schloß «am Brand», wo nach dem Bericht des «Extrablatt» in dem marmorschimmernden Wintergarten etliche Persönlichkeiten vorgestellt wurden.

Den Abschluß der ganzen Festlichkeiten bildete ein Diner im Arbeiterspeisehaus, das in einen duftenden Hain verwandelt war. Hier, wo sonst die Arbeiter ihre 26 kr.-Menus verzehren, servirte am Mittwoch Eduard Sacher: Königssuppe, Rheinlachs mit Sauce tatare, Rostbeef mit Gemüsen, Rebhühnerragout, steirische Kapauner mit Salat und Kompot, Eis, Obst, Käse und Kaffee. Dazu gab es Wermuth, Bier, Rheinwein, Rothwein, zwei Sorten Champagner und zum Schluß wieder Liqueur. Jeder Herr fand bei seinem Couvert eine wohlgefüllte feine Ledertasche mit Zigarren und Zigaretten als «Andenken», und den weiblichen Theilnehmern an dem Diner verehrte Krupp eine große seidene Bonbonnière. So glänzend bewirthete der Nickelkönig seine Gäste, die an drei großen Längs- und einer Quertafel saßen.

Während des Essens gab es die üblichen Toaste, von denen wir nur zwei hervorheben wollen: Architekt Baumann, der die Dekorationsarbeiten geleitet, gedachte der hundert Arbeiter, die die letzten sechsunddreißig Stunden ununterbrochen an der Arbeit waren und nun ausruhten, und der Dramaturg des Deutschen Volkstheater Dr. Fellner, brachte sein Hoch den Arbeitern, die als Theaterpublikum ein empfängliches, strenges und gesundes Publikum sind, durch das die dekadente Kunst wieder zur Größe gelangen kann. Namens «aller» Arbeiter sagte Werkmeister Hawlath Herrn Krupp Dank. Sein Sitznachbar beim Diner war der christlich-soziale Herr Heger.

Ein Theil der Gäste war schon um halb 8 Uhr mit einem Separatzug, der kaltes Buffet mitführte, nach Wien zurückgefahren. Die Dinergäste fuhren um 10 Uhr in Wagen zur Bahn und dann mit einem zweiten Separatzug nach Wien zurück ..., die meisten in gehobener Stimmung und voll überschwenglichem Lob auf den Lippen. Die wenigsten mögen ernsteren Gedanken nachgehangen haben.

 

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