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Max Winter

Galizische Rechtspflege

Arbeiter-Zeitung Nr. 255 vom 17. 9. 1895

Stanislau, 14. September.

Heute fand gegen Genossen Dzwonkowski die Verhandlung wegen Uebertretung des § 3 des Koalitionsgesetzes statt. Dieselbe wurde durch die Anzeige eines übereifrigen Gendarmen veranlaßt, der den ruhig an dem durch die streikenden Maurerarbeiter veranstalteten Ausfluge theilnehmenden Genossen Dzwonkowski verhaftete. Vor den Kommissär der Bezirkshauptmannschaft gebracht, wurde der Verhaftete sofort auf freien Fuß gesetzt. Damit begnügte sich aber die Staatsstütze nicht und erstattete eine Anzeige. In derselben scheint der Gendarm eine solche Masse von Unsinn zusammengestoppelt zu haben, daß sich der verhandelnde Richter darin nicht zurechtfinden konnte.

«Laut Anzeige haben Sie am 12. August eine aufreizende Rede gehalten,» begann der Richter, worauf Genosse Dzwonkowski erwiderte, daß dies der Wahrheit nicht entspreche, da er weder eine aufreizende noch eine nichtaufreizende am fraglichen Tage gehalten habe und wegen § 3 des Koalitionsgesetzes angeklagt sei. – Nun fällt es dem Richter plötzlich ein, die Frage zu stellen, «ob er (der Angeklagte) den Streik verursacht habe» oder «den Vorsitz führte»? Genosse Dzwonkowski wies darauf hin, daß weder das Eine noch das Andere verboten sei, nur war er nicht in der angenehmen Lage, sich daran zu betheiligen, weil er darum nicht angegangen wurde.

Die letzte Frage, die der Richter an den Angeklagten stellte, ist aber der Gipfelpunkt richterlicher Gesetzeskenntniß. «Es handelt sich nicht so sehr um das Verursachen des Streiks, als vielmehr, ob derselbe rechtzeitig der Bezirkshauptmannschaft angemeldet wurde,» sagte er. Auch da hatte der Angeklagte leichtes Spiel, und er gab die gehörige Antwort, worauf der Richter den Freispruch fällte. Auf so leichtsinnige Weise werden in Galizien Anklagen erhoben und Leute um ihren täglichen Lohn gebracht. Wenn der Richter sich die Mühe genommen hätte, nach Erstattung der Anzeige den Wortlaut des § 3 des Koalitionsgesetzes durchzulesen, so würde er sofort die Grundlosigkeit der Anzeige eingesehen haben.

Jeder weitere Kommentar ist überflüssig. Damit aber diese Säule des österreichischen Richterstandes der ewigen Vergessenheit entrissen werde, wollen wir ihn mit seinem vollen Namen nennen. Es ist der k. k. Bezirksgerichtsadjunkt Goralski.

 

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